G-BA ignoriert Evidenz. Ökonomische Interessen wichtiger als Sicherheit von Patienten. Rechtsgutachten konstatiert Verfahrensfehler. BMG reagiert nicht.

Trotz gegenteiliger Auffassung von Expertinnen und Experten hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass vertragsärztlich verordnete topische Dermatika (auf der Haut anzuwendende Arzneimittel) zur Behandlung der Psoriasis (Schuppenflechte) durch die Apotheken gegen wirkstoffgleiche günstigere Arzneimittel auszutauschen sind. Doch der Beschluss des G-BA ignoriert nicht nur die dermatologische Fachexpertise und missachtet jegliche Ausführungen der mitberatenden Patientenvertretung, sondern fußt laut einem Rechtsgutachten auch auf einem eklatanten Verfahrensmangel. Doch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das die Rechtsaufsicht über den G-BA hat, reagiert nicht und versäumt die Beanstandung des Beschlusses.

Missachtung der dermatologisch-fachlichen und der Patienten-Expertise

Am 21. April 2016 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass topische Dermatika (auf der Haut anzuwendende Arzneimittel) zur Behandlung der Psoriasis (Schuppenflechte) nicht in die sog. Substitutionsausschlussliste aufgenommen werden. Die Substitutionsausschlussliste legt Arzneimittel fest, die in der Apotheke nicht durch ein wirkstoffgleiches günstigeres Produkt ausgetauscht (substituiert) werden dürfen. In dem Verfahren zur Festlegung der nicht auszutauschenden Arzneimittel sprachen sich sowohl die angehörten dermatologischen Expertinnen und Experten als auch die mitberatende Patientenvertretung eindeutig dafür aus, dass topische Dermatika nicht ausgetauscht werden sollen. Denn bei topischen Dermatika entfaltet nicht nur der eigentliche Wirkstoff eine Wirkung, sondern auch das Trägermedium, das den Wirkstoff transportiert, und alle weiteren Inhaltsstoffe weisen eine Wirkrelevanz – und damit auch ein Schadenspotenzial – auf.Entsprechende Hinweise sowohl von den im Verfahren beteiligten dermatologischen Expertinnen und Experten als auch von der Patientenvertretung wurden vom unparteiischen Vorsitzenden, Prof. Josef Hecken, der die zur Disposition stehenden Arzneimittel verharmlosend als ‚Pröbchen‘ bezeichnete, beiseite gewischt mit Mutmaßungen, die der im G-BA sonst so viel beschworenen belastbaren Evidenz Hohn sprechen.“, berichtet Hans-Detlev Kunz, Geschäftsführer des Deutschen Psoriasis Bundes e.V. (DPB) und Patientenvertreter im G-BA. Er erläutert die möglichen negativen Folgen des nicht ärztlich kontrollierten Austausches von topischen Dermatika durch die Apotheken: „Im besten Fall wirkt das ausgetauschte Arzneimittel ‚nur nicht ganz so gut‘ wie das eigentlich verordnete Produkt. Im schlimmsten Fall kann es jedoch massive Hautschädigungen, z.B. aufgrund von Unverträglichkeiten oder bislang unerkannten Allergien, hervorrufen. Aber auch wenn das ausgetauschte Arzneimittel nur Hautirritationen hervorruft, so können diese wiederrum, aufgrund eines auch als Köbner-Phänomen bezeichneten Reizeffektes, neue psoriatische Hautstellen und sogar psoriatische Schübe auslösen. Daher müsste eigentlich jeder Vertragsarzt die Substitution bei topischen Dermatika durch aktives Verhindern der Aut-idem-Regelung unterbinden. Da der Arzt dadurch jedoch Gefahr läuft, einer Wirtschaftlichkeitsprüfung mit erheblichem bürokratischen Aufwand unterzogen zu werden, weil er zu teure Medikamente verordnet anstatt auf die – nicht zuletzt auch aufgrund von Rabattverträgen zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen – günstigeren und vermeintlich gleichen Arzneimittel auszuweichen, greift im Versorgungsalltag die Aut-idem-Regelung. In der Praxis wiegen die wirtschaftlichen Interessen von pharmazeutischen Unternehmen, Krankenkassen und Ärzten leider mehr als die Gesundheit der Patientinnen und Patienten.“

 

Gutachten: Verfahrensfehler im Stellungnahmeverfahren

Ein Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass es bei der Einbindung sowohl der Patientenvertretung als auch der von einer Substitution betroffenen pharmazeutischen Unternehmen im Stellungnahmeverfahren einen erheblichen Verfahrensmangel gab. Denn der G-BA „hätte bereits bei der Einleitung des Stellungnahmeverfahrens deutlich darauf aufmerksam machen müssen, dass Psoriasis-Dermatika Gegenstand des Verfahrens werden. In dem Einleitungsbeschluss selbst ist aber kein entsprechender Hinweis enthalten. Lediglich in den Tragenden Gründen werden in einem einzigen Satz Psoriasis-Dermatika zusammen mit (…) einer ganz anderen Gruppe von Arzneimitteln (…) genannt.“ Der G-BA hätte deutlicher darstellen müssen, dass Psoriasis-Dermatika in die Beratung einbezogen werden, „um tatsächlich die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu eröffnen und ein ordnungsgemäßes Stellungnahmeverfahren zu gewährleisten.“ Aufgrund dieser Intransparenz sei es der Patientenvertretung und den pharmazeutischen Unternehmen nicht möglich gewesen, bereits im schriftlichen Verfahren eine angemessene Stellungnahme abzugeben und sich auch auf die anschließende mündliche Anhörung entsprechend vorzubereiten. Das Gutachten bringt es auf den Punkt: „Ein Mitberatungsrecht ohne angemessene Aufklärung über den Beratungsgegenstand läuft weitgehend ins Leere.“

 

BMG reagiert nicht und versäumt die Beanstandung des Beschlusses

Auf den Hinweis des DPB und der beteiligten Patientenvertretung, dass der G-BA die medizinisch-fachliche Expertise missachtet habe, antwortete das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das die Rechtsaufsicht über den G-BA hat, dass es für eine medizinisch-fachliche Überprüfung und Bewertung des Sachverhaltes nicht zuständig sei, der DPB aber versichert sein könne, dass „die rechtliche Überprüfung des Beschlusses (…) mit der gebotenen Sorgfalt und Ausführlichkeit erfolgen wird.“ Nachdem das Rechtsgutachten den Verfahrensfehler im Stellungnahmeverfahren erkannt hatte, ließ der DPB dem BMG das Rechtsgutachten mit Schreiben vom 31. Mai 2016 zukommen, in der Hoffnung, dass das BMG seinen rechtsaufsichtlichen Pflichten mit der zugesicherten „gebotenen Sorgfalt und Ausführlichkeit“ nachkommt und den Beschluss beanstandet. Anstatt auf die Zuschrift des DPB zu reagieren, hat das BMG dem G-BA jedoch noch vor Ablauf der zweimonatigen Beanstandungsfrist mit Fax vom 15. Juni 2016 bereits mitgeteilt, dass es den Beschluss zur Substitutionsausschlussliste nicht beanstande. Ob sich das BMG überhaupt mit dem Rechtsgutachten auseinandergesetzt hat, ist völlig unklar. Der DPB und die beteiligte Patientenvertretung warten immer noch auf eine Antwort des BMG. Unter „Überprüfung des Beschlusses mit der gebotenen Sorgfalt und Ausführlichkeit“ verstehen der DPB und die beteiligte Patientenvertretung allerdings, dass sich das BMG zumindest mit dem Rechtsgutachten hätte befassen und auf die Zuschrift antworten müssen, bevor es den strittigen Beschluss eilig absegnet. Am 1. Juli 2016 wurde der Beschluss dann im Bundesanzeiger veröffentlicht.

 

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