PD Dr. Rachel Sommer
Gesundheitswissenschaftlerin aus Hamburg
Interview mit PD Dr. Rachel Sommer, entnommen aus PSO Magazin 5/2021
PSO Magazin: Frau Dr. Sommer, Sie leiten den Bereich „Menschenorientierte Versorgungsforschung“ im Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Hamburg. Was machen Sie dort?
Dr. Sommer: Wir sind hier ein Team aus fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen. Ich komme aus dem Bereich Gesundheitswissenschaften, dann sind da noch drei Psychologen und eine Mathematikerin. Dazu kommen drei wissenschaftliche Hilfskräfte. Wir schauen zusammen mit ganzheitlicher Sicht auf Gesundheit und auf die Versorgung. Das ist letztlich das, was die Weltgesundheitsorganisation unter dem Namen „Menschenorientierte Versorgung“ eingeführt hat. Wir wollen wissen: Wo findet sie statt? Wo findet sie nicht statt? Was brauchen wir, um sie umzusetzen? Dabei ist immer die Patienten-Orientierung unser Blickwinkel.
PSO Magazin: Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Dr. Sommer: Wir entwickeln als einen Tätigkeitsbereich sogenannte Patientenberichtete Endpunkte. Im Englischen heißt das „patient reported outcomes“. Das sind Behandlungsergebnisse, die nicht die ärztliche Seite ermittelt, sondern die nur die Patientinnen und Patienten wissen können und daher von diesen bewertet werden. Für Menschen mit Psoriasis bedeutet das etwa, dass für ihren Gesundheitszustand nicht nur der Rückgang von Hauterscheinungen gemessen wird, sondern beispielsweise auch ihr empfundener Gesundheitszustand, ihre Zufriedenheit oder ihre Lebensqualität. Gesundheit ist mehr als nur die körperliche Funktionsfähigkeit. Wir entwickeln Fragebögen zu solchen Patientenberichteten Endpunkten und schauen, ob sie aussagekräftig und reproduzierbar sind und in der Forschung und Praxis angewendet werden können. Sie helfen dabei, die Qualität der Versorgung zu erhöhen.
PSO Magazin: Diese Fragebögen entwickeln Sie für das Krankheitsbild Psoriasis?
Dr. Sommer: Wir entwickeln sie für verschiedene Hauterkrankungen., Aber in 90 Prozent aller Fälle ist die Psoriasis eingeschlossen.
PSO Magazin: Wir vom Deutschen Psoriasis Bund begrüßen es sehr, dass in den letzten Jahren in der Medizin mehr und mehr die Stimme der Betroffenen gehört wird.
Dr. Sommer: Patientenberichtete Endpunkte sind dabei nur ein Bereich. Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung ist die Partizipative Entscheidungsfindung. Der englische Fachbegriff heißt „shared decision making“. Dieses Feld ist ein weiterer Arbeitsschwerpunkt von meiner Abteilung und mir.
PSO Magazin: Partizipative Entscheidungsfindung bedeutet, dass nicht allein die Ärztinnen und Ärzte entscheiden, wie die Behandlung aussieht, sondern dass die Patientinnen und Patienten in die Entscheidungsfindung einbezogen sind. Es gibt aber doch bestimmt genügend Menschen, die das gar nicht möchten oder die damit überfordert sind.
Dr. Sommer: Natürlich gibt es die. Und das ist auch in Ordnung. Es liegt in der Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte herauszufinden, inwieweit Patientinnen und Patienten an der Entscheidungsfindung beteiligt werden wollen. Möchten sie es, muss die ärztliche Seite alle Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten aufzählen und ihren Patientinnen und Patienten alle Informationen gut verständlich zur Verfügung stellen. Dann können sie die bevorzugte Behandlungsoption gemeinsam ermitteln und das weitere Vorgehen besprechen.
PSO Magazin: Das klingt ein bisschen praxisfern. Eine Sprechstunde in der Dermatologie dauert heute meist wenige Minuten. Woher soll die Zeit kommen, die es braucht, um Patientinnen und Patienten umfassend über alle Therapiemöglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen zu informieren? Gerade für die Behandlung der Psoriasis gibt es so viele verschiedene Optionen. Im Internet ist eine Flut an seriösen und unseriösen Informationen zu finden. Es ist doch jetzt schon schwierig für Ärztinnen und Ärzte, die wirren und sich oftmals widersprechenden Informationen von Dr. Google, die Patientinnen und Patienten mit in die Praxis bringen, zu erläutern und einzuordnen.
Dr. Sommer: Das ist richtig. Und genau deshalb sind Entscheidungshilfen, mit denen sich Patientinnen und Patienten mit Psoriasis seriös informieren können, so wichtig. Darin sollen alle zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten beschrieben und ihre Risiken und Chancen gegenübergestellt werden. Wir möchten solche Entscheidungshilfen gern erstellen. Zurzeit überlegen wir noch, ob wir alle innerlich wirkenden Medikamente, die sogenannten systemischen Medikamente, einbeziehen, oder ob wir uns darauf beschränken, nur die Biologika gegeneinander darzustellen.
PSO Magazin: Wahrscheinlich ist es schon herausfordernd genug, wenn Sie nur die Vor- und Nachteile der jeweiligen Biologika gegenüberstellen. Sonst könnte die Informationsflut für Patientinnen und Patienten zu groß werden.
Dr. Sommer: Die Entscheidungshilfe zur Psoriasis-Therapie soll daher auch interaktive Elemente enthalten. Betroffene können in einer Art Bilanz ihre relevanten Punkte ankreuzen und erhalten dadurch einen Überblick, welche Therapien für sie infrage kommen könnten. Das kann dann die Basis für das Arzt-Patienten-Gespräch sein.
PSO Magazin: Das klingt nach einer Menge Arbeit.
Dr. Sommer: Das ist es. Aber daneben tut sich schon der nächste Arbeitsschwerpunkt auf. Wir haben einen Förderantrag ans Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gestellt und er ist kürzlich bewilligt worden. Dabei geht es um eine Intervention zur Prävention von Selbststigmatisierung. Wir entwickeln ein Online-Angebot, das Menschen mit Psoriasis dabei helfen soll, Selbststigmatisierung zu erkennen und zu vermeiden. Sie können an dem Kurs bequem von Zuhause aus teilnehmen.
PSO Magazin: Auch das klingt nach einem spannenden, patientenorientierten Projekt. Wir freuen uns, dass Sie sich trotz Ihrer vielen Arbeit bereiterklärt haben, in den Wissenschaftlichen Beirat des DPB zu kommen.
Dr. Sommer: Ich habe sehr gerne zugesagt und mich von der Anfrage geehrt gefühlt. Ich freue mich darüber, durch die Kooperation mit dem DPB die Menschenorientierte Versorgungsforschung im Bereich der Psoriasis noch besser voranbringen zu können. Denn dafür braucht es die Perspektive aller Beteiligten: der Selbsthilfe mit den Patientinnen und Patienten, der Forschung und der Versorgenden. Auf diese Weise können wir das Allerbeste für die Betroffenen erreichen.
PSO Magazin: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Sommer.