Prof. Dr. Wolfgang Harth
Dermatologe und Psychotherapeut aus Berlin
Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Harth, entnommen aus PSO Magazin 4/2018
PSO Magazin: Vor rund zehn Jahren sind Sie Chefarzt an der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Vivantes-Klinikums in Spandau geworden. Seit acht Jahren sind Sie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des DPB. Was hat sich seither in Ihrer Arbeit verändert?
Professor Harth: Im Bereich der Psoriasis-Behandlung hat sich durch die Einführung der Biologika ein großer Umbruch ergeben – der hatte sowohl Konsequenzen für die Patienten als auch für die Dermatologen.
PSO Magazin: Erklären Sie doch bitte zunächst Folgen für die Patienten.
Professor Harth: Die Biologika sind ein großes Glück für die Patienten. Diese Medikamentengruppe schlägt häufig gut und vor allem schnell an. Deshalb müssen wir Psoriasis-Patienten kaum noch vollstationär behandeln. Früher kamen auch Patienten mit mittelschwerer Psoriasis auf unsere Station. Heute sind es vor allem Menschen mit schwerer Form. Sie haben nicht selten Begleiterkrankungen, Übergewicht oder zusätzlich Psoriasis-Arthritis.
PSO Magazin: Als Sie damals ihre Stelle als Chefarzt antraten, haben Sie gleich drei Psychotherapeuten eingestellt. Benötigen Sie diese Experten heute überhaupt noch, wenn die Psoriasis-Therapie in so vielen Fällen erfolgreich verläuft?
Professor Harth: Heute haben wir sogar fünf Psychotherapeuten im Team. Aber wir behandeln ja auch nicht nur Psoriasis. Und die Psoriasis-Therapie verläuft natürlich nicht in allen Fällen sofort erfolgreich. In der Tat verbessert sich die Lebensqualität, wenn die Hauterscheinungen verschwinden. Auch führt das Abheilen der Haut zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls. Inzwischen ist die Studienlage zu Lebensqualität und Psyche bei Psoriasis-Patienten ja sehr gut. Es ist sehr genau belegt, dass eine Psoriasis nicht nur schmerzhafte, belastende und in hohem Maße sichtbare körperliche Symptome bewirkt. Sie ist auch mit einer Vielzahl an psychologischen Beeinträchtigungen verbunden – besonders mangelndes Selbstvertrauen, Angst und vermehrtes Auftreten von Depressionen und Suizidalität wurden dokumentiert. Deshalb ist Psychotherapie immer noch ein wichtiger Bestandteil unseres therapeutischen Angebots für Psoriasis-Patienten. Wir können aber auch feststellen, dass es in den vergangenen zehn Jahren einen Wechsel in den Scherpunkten der Behandlung gegeben hat.
PSO Magazin: Inwiefern?
Professor Harth: Die Patienten haben heute viel mehr als früher Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, weil sie sich nicht als perfekt empfinden. Sie sind heute mehr verunsichert und ängstlich. Heute passieren Krankschreibungen auch immer häufiger aufgrund von psychosomatischen Beschwerden.
PSO Magazin: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Professor Harth: In unserer Gesellschaft ist Wachstum ein wichtiger Faktor. Wir müssen immer mehr in immer kürzerer Zeit erreichen. Das fördert das Ausbrennen der Menschen. Die Patienten sind häufig sehr weit entfremdet vom einfachen, normalen Leben. Es sind Fragen der Lebensbewältigung, die unsere Psychotherapeuten vielfach beschäftigen. Das Stichwort dazu ist "Psychoeducation". Sie soll Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung informieren, das Verständnis der Krankheit, den selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit fördern und bei der Bewältigung der Psoriasis unterstützen.
PSO Magazin: Unsere Lebensweise fördert ja zudem ein Schönheitsideal. Das kann von kaum einen an der Haut gesunden Mensch überhaupt erreicht werden. Leiden Hautpatienten darunter? Trägt das möglicherweise auch zu der von Ihnen beschriebenen Verunsicherung bei?
Professor Harth: Auf jeden Fall. Heute zählt das Äußerliche viel mehr als vor Einführung von Fotografie, Film und Werbung. Zusätzlich werden heute die Bilder am Computer bearbeitet, bis sie perfekt aussehen. Sie entsprechen keinem wirklich natürlichen Abbild mehr. Ich finde das Thema sehr wichtig und habe im PSO Magazin in der Ausgabe 1-2017 einen Text dazu veröffentlicht. Er hat den Titel "Was ist Schönheit?". Wichtig war mir das Fazit, dass Schönheit eine Geisteshaltung sowie ein Kulturausdruck ist, den jeder anders empfindet. Dabei unterscheiden sich Menschen mit Psoriasis natürlich in keiner Weise von Menschen ohne Psoriasis. Ästhetische Medizin kann dann hilfreich sein, wenn der Eingriff individuell zum Charakter der Person passt.
PSO Magazin: Kommen wir noch einmal zum großen Umbruch durch Biologika zurück, den die Dermatologie derzeit erlebt. Was meinen Sie damit?
Professor Harth: Dermatologen sind nicht länger die Salbenschmierer. Immer mehr innerlich wirkende Medikamente erfordern ein großes Wissen über internistische Zusammenhänge. In der Entscheidungsfindung, welche Therapie die geeignete ist, spielen das Alter des Patienten und seine möglichen Begleiterkrankungen eine Rolle – etwa Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Diabetes, Fettleibigkeit oder eine Psoriasis-Arthritis. Das erfordert eine fachübergreifende Zusammenarbeit. Wir haben deshalb unser Team zusätzlich zu den Psychotherapeuten längst um eine Internistin erweitert und suchen gerade einen Rheumatologen.